Die „Ethikrichtlinien“ der SI

Ethische Leitlinien oder Richtlinien sind seit jeher umstritten. Für die einen sind sie zahnlose Tiger. Schon Albert Einstein hat sich gegenüber Max Born in dieser Richtung geäußert: „Mit einem ethical code haben die Mediziner erstaunlich wenig ausgerichtet, und bei den eigentlichen Wissenschaftlern mit ihrem mechanisierten und spezialisierten Denken dürfte noch weniger eine ethische Wirkung zu erwarten sein.“ (Einstein u. Born, Briefwechsel, 203) Für die anderen sind sie wichtige Instrumente der Regulierung und der Reflexion. Wenn man ethische Leitlinien entwickelt, etwa für einen Berufsstand oder -verband, sollte man dies mit Kompetenz und Sensibilität tun. Man sollte den Hintergrund deutlich machen, die Zielsetzung aufzeigen und Begründungen anführen. Und man sollte eine korrekte, präzise und prägnante Sprache verwenden, letztlich die Sprache der Sprachgemeinschaft, um möglichst verständlich zu sein und möglichst viele anzusprechen. Die „Ethikrichtlinien“ der Schweizer Informatik Gesellschaft – die Schreibweise der Organisation ist nicht zu beanstanden, da es sich um einen Eigennamen handelt – wurden durch die Generalversammlung vom 25. November 2005 verabschiedet. Bis 2017 hat man eine neue Version erarbeitet. Nach intensiven Diskussionen wurde 2019 die endgültige Version unter der Bezeichnung „Ethikrichtlinien“ veröffentlicht. Bei „1. Allgemeine ethische Grundsätze“ heißt es: „Eine Informatikerin soll …“. Unter „1.1.“ folgt „sich der gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein“. Diese movierte Form kann einzig und allein auf weibliche Personen zielen. Damit werden männliche Personen ausgeschlossen, also vermutlich die Mehrzahl der SI-Mitglieder. Bei „2. Berufliche Verantwortung“ heißt es: „Ein Informatiker soll …“. Nachdem oben von einer Informatikerin gesprochen wurde, fragt man sich unweigerlich, ob hier nur männliche Personen gemeint sind. Solche „Ethikrichtlinien“ missachten den allgemeinen Sprachgebrauch, beschädigen die Sprache der Sprachgemeinschaft, grenzen Adressaten und Betroffene aus und lenken von der Sache ab. Sie wurden von Personen verfasst, die die Sprachgemeinschaft verlassen haben und die offenbar mehr an Moralismus als an Moral interessiert sind – und damit ernsthafte Bemühungen um ethische Leitlinien konterkarieren.

Abb.: Nicht Sprache verändern, sondern Wirklichkeit

Fachgruppe Informatik und Gesellschaft

Die Schweizer Informatik Gesellschaft (SI) plant einen Relaunch der Fachgruppe Informatik und Gesellschaft. Im KLEINEN LEXIKON DER INFORMATIONSETHIK steht geschrieben: „Ein Teilgebiet der Informatik nennt sich Informatik und Gesellschaft. Es handelt sich zugleich um einen Fachbereich der Gesellschaft für Informatik (GI). Laut GI analysieren dessen Mitglieder die Voraussetzungen, Wirkungen und Folgen von Informatik, Informationstechnik und Informationsverarbeitung, und zwar in allen Bereichen der Gesellschaft. Die Bedeutung des Teilgebiets hat allerdings stark abgenommen.“ Vielleicht trifft diese Feststellung bald nicht mehr zu. Die Schweizer Fachgruppe könnte sich sozialen, rechtlichen und moralischen Problemen widmen und die Informationsethik stärken. Diese ist zur Zeit an der HTW Chur und an der Hochschule für Wirtschaft FHNW vertreten. Das erste Treffen findet im Mai 2015 in Bern statt.

Abb.: Eine Gasse in Chur