Das BorDoll in Dortmund hat im Sommer 2023 nach sechs Jahren seine Pforten geschlossen, anscheinend weil kein geeignetes Personal mehr für die Liebespuppen gefunden werden konnte. Es war über die Grenzen von Deutschland hinaus bekannt geworden. Die Inhaberin, Evelyn Schwarz, stand auch der Wissenschaft Rede und Antwort. Ein Interview mit ihr ist in dem Buch „Maschinenliebe“ – herausgegeben von Oliver Bendel – erschienen. Geführt wurde es von Leonie Weber, die damals an der Universität Witten-Herdecke studierte und forschte. Sie hat auch mit einer Sexarbeiterin gesprochen und dadurch einem breiten Publikum wichtige Einblicke in die Sexarbeit geliefert, etwa zum Scheitern des sogenannten nordischen Modells. Evelyn Schwarz machte deutlich, dass viele junge, schüchterne Männer in ihr Etablissement kommen, wo sie sich für Fantasyfiguren interessieren, für Mangamädchen und Elfen. Über die Gründe kann man nur spekulieren, aber wahrscheinlich versuchen Fantasyfans, Gamer und Cosplayer, ihre Erlebnisse in der Fiktionalität und Virtualität in der Realität wiederzufinden. Wie aus dem BorDoll-Forum hervorgeht, wurden die Liebespuppen bereits alle verkauft, vermutlich an Puppenliebhaber, die in den eigenen vier Wänden ihrer Leidenschaft frönen wollen. In Deutschland wird damit das Cybrothel in Berlin zur ersten Adresse. Man darf gespannt sein, wie die Betreiber ihr Projekt, das zwischen Künstlichkeit und Kunst angesiedelt ist, immer wieder neu erfinden werden.
Abb.: Ein KI-generiertes Bild einer Liebespuppe (Bild: Ideogram)
Mit Liebespuppen und Sexrobotern beschäftigt sich Prof. Dr. Oliver Bendel seit 2013, beginnend mit dem Fachartikel „Dr. Robot entdeckt die Moral“, veröffentlicht in IT for Health. 2015 stellte er in seinem Beitrag „Surgical, Therapeutic, Nursing and Sex Robots in Machine and Information Ethics“ für das Buch „Machine Medical Ethics“ (Springer) die Lustmaschinen in eine Reihe mit anderen Robotern aus dem Gesundheitsbereich und betrachtete sie aus ethischer Sicht. Es folgten weitere Artikel und Buchbeiträge und 2020 das vielbeachtete Buch „Maschinenliebe“ (Springer Gabler). Zuletzt erschien „Sexroboter als soziale Roboter für unterschiedliche Bedürfnisse und Anliegen“ im Herausgeberband „Faktor Mensch“ (Springer Vieweg). Christoph Holz, ein Podcaster, unterhielt sich mit dem Informations- und Maschinenethiker über verschiedene Themen in den Bereichen Soziale Robotik, Künstliche Intelligenz und Ethik. Die erste Folge „Maschinenliebe aus philosophischer Sicht“ wurde am 19. Juli 2023 veröffentlicht. Sie kann über Spotify abgerufen werden.
„Ein Samstagmittag in Dortmund. Der Mann ist Mitte 40, hat eine Motorrad-Lederkombi an und trägt Elena auf den Armen – in einer Haltung, als sei er ein Bräutigam und wolle sie über die Schwelle tragen. Elena hat rote Lackstiefel an, die ihr bis übers Knie reichen, ihre Haare sind ebenfalls rot, und eine Stunde mit ihr kostet 80 Euro.“ Mit diesen Worten beginnt der Artikel „Die Mädels hier sind mir lieber“ von Katrin Hummel in der Onlineausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. Februar 2020, erschienen zuerst in der Sonntagszeitung des Verlags am 16. Februar des Jahres unter dem Titel „Die machen alles mit“. Elena ist eine Liebespuppe und Objekt der Begierde im Dortmunder BorDoll – dessen Name Programm ist. Zu Wort kommen im Artikel die Bordellbetreiberin, ein Puppenliebhaber und der Informations- und Maschinenethiker Oliver Bendel. Er fordert, dass man zu Liebespuppen und Sexrobotern empirisch forscht – um danach manche Versionen gezielt einzusetzen, etwa in der Therapie, andere dagegen zu verbieten, etwa im Bordell. Wer sich als Wissenschaftler weigert, ethisch oder empirisch zu dem Thema zu arbeiten, so seine Meinung, verschließt sich der Wirklichkeit und den Auswirkungen, die Liebespuppen schon heute haben und Sexroboter morgen haben werden.
Abb.: Die BorDoll-Besucher in Dortmund stehen auf Mangamädchen (Foto: Stefanie Hauske)
„Liebespuppen (engl. ‚love dolls‘) unterscheiden sich von klassischen Gummipuppen durch ihre lebensechte Gestaltung. Sie haben Kopf und Körper, die täuschend echt anzusehen sind. Sie haben künstliche Haut, unter der sich Gel befindet, sodass sich ihre Gliedmaßen echt anfühlen. An ausgewählten Stellen erwärmen sie sich oder sondern sie Flüssigkeit ab. Metallskelette erlauben unterschiedliche Positionen. Man kann Liebespuppen kaufen, um sie zuhause zu benutzen, man kann sie mieten, stunden- oder tageweise, oder in speziellen oder normalen Etablissements antreffen. Die meisten von ihnen sind Mädchen und Frauen nachempfunden, nur wenige dem männlichen Geschlecht.“ So beginnt ein neuer Beitrag im Gabler Wirtschaftslexikon, verfasst von Oliver Bendel. Interessanterweise werden Fantasy- und Comicfiguren von manchen Männern gezielt gesucht bzw. bevorzugt. „Wie weit die Abweichung vom Menschen gehen darf, ist weitgehend unerforscht. Ist jemand bereit, sich sexuell mit Daisy Duck oder Minnie Mouse einzulassen? Es könnte sein, dass für die Mehrheit hier eine Grenze überschritten wäre, zumal es sich für Erwachsene vielfach um Figuren aus der Kindheit handelt.“ Der Beitrag ist am 7. August 2019 erschienen und kann über wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/liebespuppen-121148 heruntergeladen werden.
„Pflege und Pflegeroboter zielen darauf ab, Menschen mit Pflegebedarf zu betreuen, Krankheiten zu verhüten und Gesundheit zu fördern. Das umfasst die ganzheitliche Sorge um das Wohlbefinden und schließt auch das sexuelle Wohlbefinden als wichtigen Gesundheitsfaktor und als Menschenrecht mit ein.“ (Döring 2018) Der Beitrag „Sollten Pflegeroboter auch sexuelle Assistenzfunktionen bieten?“ behandelt zunächst den Stellenwert des sexuellen Wohlbefindens und konkretisiert die sexuellen Anliegen von Menschen mit Pflegebedarf. „Die bisherigen Angebote der Sexualassistenz für Menschen mit Pflegebedarf werden beschrieben. Auf dieser Grundlage plädiert der Beitrag dafür, im Sinne einer besseren Förderung sexuellen Wohlbefindens von Menschen mit Pflegebedarf in Zukunft auch Konzepte der robotischen Sexualassistenz zu entwickeln und zu evaluieren.“ (Döring 2018) Der Beitrag ist im Buch „Pflegeroboter“ (herausgegeben von Oliver Bendel) enthalten, das im November 2018 bei Springer Gabler erschienen ist und über SpringerLink kostenlos heruntergeladen werden kann.
„Erotik 4.0 – Gedankenspiel Sexroboter“ lautet der Titel einer Sendung bei SRF 2 Kultur, die am 13. Juni 2018 ab 9 Uhr ausgestrahlt wird. „In Dortmund gibt es ein Sexpuppen-Bordell, in Barcelona sogar schon ein Sexroboter-Bordell. Der Roboterphilosoph Oliver Bendel findet diese Entwicklung gefährlich. Denn noch wissen wir nicht, welche Folgen Sexroboter für uns Menschen haben, die empirische Forschung fehlt noch.“ (Website SRF) Er spricht sich nicht gegen die Entwicklung aus, sondern ist eben dafür, Forschung in diesem Bereich zu betreiben und die Anwendung genau im Auge zu behalten. In der „Kontext“-Sendung geht es zunächst um Harmony. „Wer ist sie und was kann sie?“ Dann wird die Frage gestellt: „Wie soll der Sexroboter aussehen?“ Oliver Bendel denkt laut über das Aussehen von Sexrobotern abseits der Stereotype nach. Schließlich findet ein „Gedankenspiel“ statt, und KI-Experte und Schachmeister David Levy, Roboterethikerin Kathleen Richardson und Roboterphilosoph Oliver Bendel kommen zu Wort. Weitere Informationen über www.srf.ch/sendungen/kontext/erotik-4-0-gedankenspiel-sexroboter.
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) war vor einiger Zeit im Gespräch mit Oliver Bendel, für den Beitrag „Sexroboter – Hype oder Trend?“. Am Rande erwähnte der Informations- und Maschinenethiker aus Zürich, dass die Sexualwissenschaft in Deutschland kaum noch eine Bedeutung habe. Nach seiner Einschätzung tut man sich an den Hochschulen schwer mit dem Thema. Die dpa ging dem Hinweis nach und verfasste einen Beitrag, der in der ÄrzteZeitung veröffentlicht wurde. Im Teaser heißt es: „Deutschland hat nur zwei große sexualwissenschaftliche Zentren. Der Westen sei geradezu prüde bei dem Thema, bemängeln Forscher – dabei würden sexuelle Krankheiten medizinisch oft auf andere Probleme hindeuten.“ (ÄrzteZeitung, 12. Februar 2018) „Die aktuelle Situation in Deutschland ist ein Armutszeugnis“, wird Heinz-Jürgen Voß von der Gesellschaft für Sexualwissenschaft zitiert. „Überall dort, wo Menschen mit Menschen zu tun haben, in Kitas, Schulen, Einrichtungen der Sozialen Arbeit sowie Bildungseinrichtungen für Erwachsene, spielten Fragen zu Körper, Geschlecht und Sexualität eine Rolle.“ Das bedeutet, so Voß, „dass Fachkräfte ausgebildet sein sollten, professionell mit den entsprechenden Fragen umzugehen“ (ÄrzteZeitung, 12. Februar 2018). Der Artikel „Sex auf dem Abstellgleis“ ist über www.aerztezeitung.de/panorama/article/957332/50-jahre-nach-1968-sex-abstellgleis.html abrufbar.
Der „Third International Congress on Love and Sex with Robots“ findet am 19. und 20. Dezember 2017 in London statt. In einer Information vom 8. Juni 2017 heißt es: „Within the fields of Human-Computer Interaction and Human-Robot Interaction, the past few years have witnessed a strong upsurge of interest in the more personal aspects of human relationships with these artificial partners. This upsurge has not only been apparent amongst the general public, as evidenced by an increase in coverage in the print media, TV documentaries and feature films, but also within the academic community. The International Congress on Love and Sex with Robots provides an excellent opportunity for academics and industry professionals to present and discuss their innovative work and ideas in an academic symposium.“ (Information LSR 2017, 8. Juni 2017) Papers sollen mindestens sieben Seiten umfassen und sich Themen wie „Entertainment Robots“, „Robot Personalities“, „Teledildonics“ und „Intelligent Electronic Sex Hardware“ widmen. Auch Informations- und Roboterethik sind mögliche Perspektiven. Das Buch mit den Beiträgen der letzten Konferenz ist Ende April 2017 bei Springer erschienen. Weitere Informationen über loveandsexwithrobots.org.
Abb.: Im Jahre 2016 fand die LSR am Goldsmiths statt
Der internationale Kongress „Love and Sex with Robots“ startete am 19. Dezember 2016 mit einem Vortrag von Oliver Bendel. In der Professor Stuart Hall von Goldsmiths, University of London, versammelten sich zahlreiche interessierte Wissenschaftler und Journalisten. Die erste Keynote hielt Kate Devlin (Department of Computing at Goldsmiths, University of London). Der erste Kongress der Reihe fand 2014 auf Madeira statt, der zweite war für Malaysia geplant, wurde aber von den dortigen Behörden verboten. Oliver Bendel führte am 19. Dezember Interviews mit SWR2, SWR3, Deutschlandradio Kultur, WDR und ARD. Das Interview mit dem WDR liegt in schriftlicher Form vor, unter dem Titel „Können wir eines Tages Roboter lieben?“ Im Teaser heißt es: „Liebespuppen gab es schon in der Antike. Mit moderner Technik können wir sie heutzutage zum Leben erwecken. Doch wie gehen wir mit Sex-Robotern um? Und was, wenn diese Maschinen eines Tages ein Bewusstsein entwickeln?“ (Website WDR) Am 20. Dezember wurde die Konferenz zu Ende geführt. Weitere Informationen über loveandsexwithrobots.org.
„Soll ein Sexroboter einen Orgasmus vortäuschen dürfen?“ So lautet der Titel eines Artikels von Tom Strohschneider im Neuen Deutschland. Angelehnt ist er an eine Frage in einem Buchbeitrag von Oliver Bendel, aus dem mehrmals zitiert wird und der im Sammelband „Programmierte Ethik“ (Heise Medien, 2016) enthalten ist. Im Teaser des Artikels heißt es: „Darf ein Sexroboter einen Orgasmus vortäuschen? Sollte er vielleicht sogar? Die Frage mag auf den ersten Blick wie eine seltsame, nur für einen eher kleinen Teil der Öffentlichkeit interessante anmuten. Doch es steckt mehr dahinter: Je näher sich Mensch und Maschine durch die technologische Entwicklung kommen (können), desto drängender wird nach ethischen Antworten für die Beziehungen zwischen Robotern und uns gesucht.“ (Neues Deutschland, 21. Oktober 2016) Zitiert werden u.a. Kathleen Richardson, Charles Ess und eben Oliver Bendel. Die beiden Erstgenannten lehnen Robotersex ab. Richardson hat vor einiger Zeit eine Petition verfasst für ein Verbot von Sexmaschinen. Sie glaubt, dass echten Frauen durch ihre künstlichen Kopien eine weitere Reduktion droht. Faktisch findet diese allerdings bei Dildos und Vibratoren statt, und diese Reduktion gilt nicht Frauen, sondern Männern. Ess ist ebenso kritisch: „Wer sich nur noch auf die Suche nach dem vollkommenen Sex mit Maschinen mache, werde nicht nur im Bett mit Zombies landen, sondern selbst ein solcher werden.“ (Neues Deutschland, 21. Oktober 2016) Oliver Bendel sieht sowohl die Risiken als auch die Chancen. Für ihn bleibt die Zustimmung oder Ablehnung gegenüber Robotersex letztlich die Privatsache urteilsfähiger Menschen.
Abb.: Darf ein Sexroboter einen Orgasmus vortäuschen?
In 10vor10 vom 7. Oktober 2016 fragte Romana Kayser vom SRF: „Verlieben wir uns bald in Roboter?“ Auf der Website der Sendung wird erklärt: „Roboter werden immer effizienter und dringen in immer mehr Bereiche unseres Lebens vor. Steuern wir auf eine Zukunft hin, in der Menschen und Roboter nebeneinander – oder gar miteinander leben? Können Menschen echte Gefühle für Roboter entwickeln? Ein Blick auf Japan, eines der roboterbegeistertsten Länder der Welt.“ Zu Wort kommt Oliver Bendel, Informations- und Maschinenethiker an der Hochschule für Wirtschaft FHNW. Er hat Beiträge zu Pflege-, Therapie- und Sexrobotern veröffentlicht und interessiert sich in seiner Forschung für die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Er ist der Ansicht, dass diese immer einseitig bleiben wird und die Maschine darauf ab und zu hinweisen sollte; zugleich sei die Ideengeschichte voll mit Beispielen der Zuwendung zu künstlichen Kreaturen, von Pygmalions Liebe zu seiner Galatea bis hin zu Calebs Gefühlen für Ava in „Ex Machina“. Insofern ist eine Beziehung vorstellbar und möglich und vielleicht Inspiration für Kulturen und Individuen. Der Beitrag mit einer Länge von fast fünf Minuten kann über www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/verlieben-wir-uns-bald-in-roboter?id=bdd4145c-4893-4805-b63f-9b1b310de1dd aufgerufen und heruntergeladen werden.