Über die Privatsphäre

„Die Privatsphäre ist der nichtöffentliche Raum eines Menschen, in dem er seine Persönlichkeit und Individualität auslebt und entfaltet und Grundbedürfnisse wie Sexualität, Reinigung und Entleerung befriedigt (Intimsphäre). Das Recht auf Privatsphäre ist ein Menschenrecht und vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgedeckt.“ Mit diesen Worten beginnt ein Beitrag von Oliver Bendel im Gabler Wirtschaftslexikon, der am 3. Februar 2021 erschienen ist. Am Ende wird die Perspektive der Ethik eingenommen: „Die Privatsphäre wurde immer wieder in der Medienethik und in der Rechtsethik behandelt, etwa im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Prominente. Sie ist ein wichtiges Thema der Informationsethik, vor allem mit Blick auf die informationelle Autonomie, also die Möglichkeit, selbstständig auf Informationen zuzugreifen, über die Verbreitung von eigenen Äußerungen und Abbildungen selbst zu bestimmen sowie die Daten zur eigenen Person einzusehen und gegebenenfalls anzupassen. Nicht zuletzt können Wirtschaftsethiker diverse Fragen aufwerfen. So mag der Arbeitsplatz, auch wenn er in einem Büro oder in einer Fabrik angesiedelt ist, die Privatsphäre verletzen, z.B. wenn private E-Mails gelesen werden oder Überwachungskameras installiert sind.“ Der Beitrag kann über wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/privatsphaere-122247 aufgerufen werden.

Abb.: Dies ist ein Privatbereich

Erst das Gesicht, dann die Ware?

„Sie gehen in einen Laden, packen Fertigpizza, Salat und eine Flasche Mineralwasser in eine Tüte. Beim Ausgang wird ihr Gesicht gescannt, und schwupps, ist ihr Einkauf von ihrem Konto abgebucht. So funktioniert Shopping teilweise bereits heute in China. In der Schweiz werden ähnliche Systeme in Betracht gezogen.“ Dies meldete der Tages-Anzeiger am 25. Juli 2019. Migrolino-Chef Markus Laenzlinger stelle sich vor, dass Kunden „sich mittels Smartphone oder Gesichtserkennung beim Betreten des Ladens identifizieren“. „Beim Verlassen werde der Einkauf automatisch gescannt und bezahlt.“ (Tages-Anzeiger, 25. Juli 2019) Allerdings gehört Gesichtserkennung zu den problematischsten Technologien, die im öffentlichen und halböffentlichen Raum verwendet werden können. Entsprechend beobachtet laut Tages-Anzeiger der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte die Entwicklung. „Wichtig sei, dass die Kunden darüber informiert sind, dass Bilder von ihnen genutzt werden. Und er warnte zusätzlich vor den Gefahren beim Sammeln von biometrischen Daten, wie etwa dem Identitätsdiebstahl.“ (Tages-Anzeiger, 25. Juli 2019) Wichtig ist grundsätzlich auch, dass die Kunden eine andere Möglichkeit zur Bezahlung haben.

Abb.: Erst das Gesicht, dann die Ware?

Business in Mumbai

In Indien findet das IT-Business bzw. das Mediengeschäft zuweilen auch auf der Straße statt. Touristen werden fotografiert, die Bilder an Ort und Stelle ausgedruckt. Den Strom für das Gerät holt man sich aus der Umgebung oder auf andere Weise. Was mit den Dateien und Daten passiert, ist unklar, wie auch im Empire State Building, wo man die Besucher fast zum Shooting zwingt (und wo Beherzte dennoch einfach weitergehen, während die Kamera ins Leere schießt). Vor dem Gateway of India macht sich vermutlich kaum einer Gedanken über die informationelle Autonomie und den Datenschutz, weder der Fotograf noch der oder die Fotografierte. Überhaupt spielt das Bild eine große Rolle, und es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht von Einheimischen angesprochen und zum Gruppenbild mit Dame (oder Herrn) aufgefordert wird. In Mumbai kämpft jeder ums Überleben, außer diejenigen, die am Juhu-Strand wohnen und ab und zu im Bollywood-Studio einen Hindi-Film drehen, und diejenigen, die ihre Kinder in die Schweiz zum Skifahren schicken, wo wiederum Bilder geschossen werden, die in Indien landen (und auf Servern überall in der Welt).

Abb.: Business in Mumbai

Selbstdarstellung und Datenschutz

Technology Review befragte den Informations- und Maschinenethiker Oliver Bendel zu Informationsethik und Datenschutz. Dabei interessierte u.a., ob man aus ethischer Sicht mehr Datenschutz fordern und gleichzeitig großzügig mit seinen Daten umgehen darf. Die Antwort lautete: „Das darf ich durchaus. Ich kann ja daran interessiert sein, dass fremde personenbezogene Daten geschützt werden, etwa die meiner Kinder. Ich kann grundsätzlich an Schutz und Gerechtigkeit interessiert sein. Zugleich kann ich – auch das kann informationelle Autonomie bedeuten – mich dafür entscheiden, meine persönlichen Daten freizügig wegzugeben. Wichtig ist letztlich, dass die Entscheidung über meine Daten bei mir liegt. Auch wenn die Mehrheit einen laxen Umgang im Privaten hat, bedeutet das nicht, dass ich dann auch einen haben muss. Ich möchte im Gegenteil im Rechtsstaat als Minderheit vor der Mehrheit geschützt werden. Interessant wäre, wenn ich einzelne personenbezogene Daten oder Datensätze bestimmten Personen und Einrichtungen gegenüber freigeben, anderen Personen und Einrichtungen gegenüber sperren könnte, und wenn ich bei einer Freigabe eine Gegenleistung verlangen dürfte.“ Diese und andere Antworten flossen in den Beitrag von Denis Dilba ein, der unter dem Titel „Darf ich private Daten posten und trotzdem mehr Datenschutz wollen?“ in der Ausgabe 10/2017 erschienen ist.

Abb.: Selfie im Meer

Smart Cams im öffentlichen Raum

Ende Juni 2017 ist das Buch „Chancen und Risiken von Smart Cams im öffentlichen Raum“ erschienen. Es versammelt Beiträge des gleichnamigen Workshops, der von der Universität Oldenburg und vom Datenschutz-Beirat der Deutschen Bahn am 23. und 24. Juni 2016 im Bahntower am Potsdamer Platz in Berlin ausgerichtet wurde. Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren u.a. Prof. Dr. Susanne Boll-Westermann (OFFIS Institut für Informatik), Dennis Rohde (MdB, SPD), Dr. Konstantin von Notz (MdB, Grüne), Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler (Universität Oldenburg) und Prof. Dr. Oliver Bendel (Hochschule für Wirtschaft FHNW). Es waren positive und negative Einschätzungen gleichermaßen vertreten. Oliver Bendel fasste in seinem Vortrag zusammen: „Überwachungskameras und Smart Cams wie Action Cams können Nutzen stiften bzw. Spaß machen. Sie können auch Schaden anrichten, vor allem mit Blick auf die informationelle Autonomie und die Privatsphäre. Die enorme Verbreitung, die ständige Verkleinerung bei gleichbleibender Qualität der Bilder, die Verbindung mit Künstlicher Intelligenz und andere Entwicklungen stellen uns vor große Herausforderungen.“ Herausgeber des Buchs ist Prof. Dr. Jürgen Taeger (Universität Oldenburg), der den Workshop auch moderiert hat.

Abb.: Wer wird wo wobei beobachtet?

Über die Köpfe hinweg

Der Beitrag „Private Drohnen aus ethischer Sicht“, der am 14. Februar 2015 in der Zeitschrift Informatik-Spektrum als „Online-First“-Version veröffentlicht wurde, ist im Juni 2016 in gedruckter Form erschienen. „Chancen und Risiken für Benutzer und Betroffene“ lautet der Untertitel, und eben diese untersucht Oliver Bendel. Im Abstract heißt es: „Es werden immer mehr private Flugdrohnen verkauft und genutzt. Sie fotografieren und filmen uns von oben, selbst wenn wir in unserem Garten liegen oder in unserem Haus sind, am Fenster vorbeigehend oder stehend. Aus der Sicht der Informationsethik, die im vorliegenden Beitrag eingenommen wird, gibt es viele Risiken beim Einsatz, aber auch einige Chancen, und zwar sowohl für die Besitzer als auch für die Betroffenen. Zu den herausgearbeiteten Risiken zählt die Gefährdung der informationellen und persönlichen Autonomie, zu den Chancen die Erweiterung menschlicher Möglichkeiten mit Hilfe der Informationstechnologie.“ Am Rande ist auch die Maschinenethik von Belang. Der Artikel kann über den Springer-Verlag bezogen werden bzw. ist in Heft 3 enthalten, das in Bibliotheken ausgeliehen werden kann.

Abb.: Eine Drohne macht ein Bild von einer Hochzeit

Der Datenmensch

Das 20. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung trägt den Titel „Der Datenmensch – Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt“. In der Pressemitteilung heißt es: „Sobald wir Informationstechnologien nutzen, hinterlassen wir Datenspuren. Können wir in der digitalen Welt noch frei agieren oder werden wir zu vollkommen transparenten Datenmenschen mit einem gläsernen Ich? Und müssen wir die Auswertung unserer Daten generell hinnehmen, obwohl im Grundgesetz das Recht auf Selbstbestimmung verbürgt ist? Im Pressegespräch der Daimler und Benz Stiftung stehen Ihnen vier Experten als Gesprächspartner zur Verfügung.“ (Pressemitteilung DuB-Stiftung, 14. April 2016) Diese sollen Fragen „zu den Auswirkungen der Informationstechnologien auf die Gesellschaft, zu den Schutzmöglichkeiten des Einzelnen und auch zum ökonomischen Wert von Daten erörtern“ (Pressemitteilung DuB-Stiftung, 14. April 2016). Eingeladen wurden Prof. Dr. Alexander Roßnagel, Universität Kassel, Institut für Wirtschaftsrecht, Prof. Dr. Johannes Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht, Florian Glatzner, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., Berlin, und Prof. Dr. Jeannette Hofmann, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH, Berlin. Das Kolloquium findet am Mittwoch, den 11. Mai 2016 von 10.00 bis 10.45 Uhr im Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin statt. Weitere Informationen über www.daimler-benz-stiftung.de.

Abb.: Der Datenmensch (Foto: Daimler und Benz Stiftung)

Die Datenbrille aus ethischer Sicht

Der Artikel „Die Datenbrille aus Sicht der Informationsethik“ von Oliver Bendel geht auf die „Datenbrille in der Moral der Informationsgesellschaft“ ein. In der Zusammenfassung heißt es: „Die Datenbrille ist ein mit Peripheriegeräten ergänzter Kleinstrechner, der am Kopf getragen und mit Augen und Händen sowie der Stimme gesteuert bzw. bedient wird. Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen respektive Situationen und Prozesse werden registriert, analysiert und mit virtuellen Informationen angereichert. Mehrere Modelle mit ähnlichen Funktionen sind auf dem Markt. Aus ethischer Sicht stellen sich verschiedene Fragen. Insbesondere die Informationsethik ist gefordert, etwa zu Themen wie Informationsgerechtigkeit und informationelle Autonomie.“ Der Artikel ist im Februar 2016 in der Printversion der Zeitschrift Informatik-Spektrum 39 (1), S. 21 – 29, erschienen. Bereits seit 13. September 2014 ist er als „Online-First“-Artikel verfügbar.

Abb.: Die Datenbrille reichert die Realität mit Virtualität an

Zum Recht auf Vergessenwerden

„Das Recht auf Vergessenwerden, auch (eher missverständlich) Recht auf Vergessen genannt, steht in einem engen Zusammenhang mit der informationellen Autonomie. Personenbezogene Daten, vor allem im Internet und im mobilen Bereich, sollen auf Wunsch der Benutzer gelöscht oder unzugänglich gemacht werden, damit diese nicht unzumutbar lange mit Aussagen und Vorfällen in Verbindung gebracht werden können.“ So beginnt ein neuer Beitrag im Wirtschaftslexikon von Springer Gabler, der am 12. Januar 2016 erschienen ist. Oliver Bendel schreibt am Ende auch aus der ethischen Perspektive: „Die Informationsethik untersucht, welche Personen das Recht auf Vergessenwerden in welcher Weise in Anspruch nehmen und welche moralischen Begründungen dafür gelten können sowie – mit anderer Schwerpunktsetzung auch ein Arbeitsgebiet der Informatik – welche technischen Umsetzungen adäquat sind.“ Der Beitrag kann über wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/recht-auf-vergessenwerden.html aufgerufen werden.

Abb.: Der Sand deckt alles zu

Springer-Lexikon zur Informationsethik

Ende 2015 erscheint ein neues Springer-Lexikon mit dem Titel „300 Keywords Informationsethik“. Oliver Bendel, Wirtschaftsinformatiker, Informationsethiker und Maschinenethiker, hat das ganze Werk verfasst. Dadurch handelt es sich um ein Nachschlagewerk aus einem Guss, was eine Seltenheit und eine Besonderheit ist. Manche der Begriffe werden kurz und knapp erklärt, andere seitenlang. Nach der Lektüre ist man umfassend in die Bereichsethik eingeführt, die auch mit dem Begriff der digitalen Ethik umrissen wird und der man Computerethik, Netzethik und Neue-Medien-Ethik zuordnen kann. Und auch die Maschinenethik und die Roboterethik sind einem nicht mehr fremd. Natürlich lernt der Leser den Big Brother (und den Little Brother) kennen, und es kommt ihm die Filter Bubble entgegengeschwebt. Gespannt sein darf man auf den Cyberhedonismus, den Sexroboter und den Wutbürger. Weitere Informationen sind im Herbst bei Springer erhältlich.

Abb.: Little Brother is watching you

Big Data als Big Brother

Mit „Big Data“, so erklärt Oliver Bendel in seinem neuen Beitrag für das Wirtschaftslexikon von Gabler und Springer, „werden große Mengen an Daten bezeichnet, die u.a. aus Bereichen wie Internet und Mobilfunk, Finanzindustrie, Energiewirtschaft, Gesundheitswesen und Verkehr und aus Quellen wie intelligenten Agenten, sozialen Medien, Kredit- und Kundenkarten, Smart-Metering-Systemen, Assistenzgeräten, Überwachungskameras sowie Flug- und Fahrzeugen stammen und die mit speziellen Lösungen gespeichert, verarbeitet und ausgewertet werden“. Es wird nicht nur auf den Begriff, sondern auch auf die Bedeutung eingegangen, für Wirtschaft, Wissenschaft und Privatpersonen. Im Abschnitt „Kritik und Ausblick“ heißt es: „Die Informationsethik fragt nach den moralischen Implikationen von Big Data, in Bezug auf digitale Bevormundung (Big Data als Big Brother), informationelle Autonomie und Informationsgerechtigkeit. Gefordert sind ferner Wirtschaftsethik und Rechtsethik.“ Der Beitrag ist am 7. Januar 2015 erschienen und über wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/big-data.html verfügbar.

Abb.: Big Data als Big Brother