Von Kokeshi 2.0 bis Luna

Frankfurter Allgemeine Quarterly bringt in der aktuellen Ausgabe 4/2024 eine Serie mit dem Titel „Sind Roboter bald die besseren Lover“? Darin kommen Kritiker wie Kathleen Richardson ebenso zu Wort wie Wissenschaftler wie Oliver Bendel (Hochschule für Wirtschaft FHNW), Entwickler wie Brian Sloan (Autoblow), Filmemacher wie Johannes Grenzfurthner (Arse Elektronika) und Unternehmer wie Philipp Fussenegger (Cybrothel). Im Cybrothel in Berlin sind vor allem Liebespuppen zu finden, aber auch Vorformen von Robotern. Kokeshi 2.0 ist laut Fussenegger „schon ein bisschen mechanisiert, sie saugt und bewegt sich und reibt sich an dir, sie ist beheizt, und nimmt auch schnell die Wärme von dir an“ (F.A.Z. Quarterly, 4/2024). Der Künstler, Erfinder und Unternehmer erklärt: „Ich will weg vom Schmuddel-Image. Unsere Roboter kann man wie einen Flixbus buchen: Man reserviert, stellt sein Programm zusammen, muss mit niemandem interagieren und kann sich total auf die eigene Sexualität konzentrieren. Die Sexpuppe ist so vorbereitet, wie man es gerne hätte, wie bei Airbnb per Self-Check-in. Es ist ein Erwachsenenspielplatz und ein Sex-Tech-Lab.“ (F.A.Z. Quarterly, 4/2024) Beeindruckend ist auch Luna. Über sie heißt es auf der Website des Cybrothel: „Luna ist ein Vampir, tagsüber ruht sie. Sie schläft tief und fest. Sobald der Mond aufgeht, erwacht Luna zum Leben. Sie öffnet ihre schwarzen Augen, die sich sofort suchend umschauen. Sie ist sehr hungrig und sie sucht Dich!“ (Website Cybrothel)

Abb.: Luna, die Vampirin (Foto: Cybrothel)

Kokeshi 2.0 im Cybrothel

Das Cybrothel in Berlin, entstanden aus einem Kunstprojekt, kann mit neuen Attraktionen aufwarten. Dazu gehört die Alienfrau Liara – und Kokeshi 2.0. Zu dieser heißt es auf der Website: „Entdecke die Geheimnisse der Maschinenliebe hautnah. Revolutionäre Robotik trifft auf streichelzartes TPE und verschmilzt zur leidenschaftlichen [Doll] namens Kokeshi 2.0. Spiel mit ihr und lass deine Fantasie Wirklichkeit werden. Im immersiven Spiel mit einer Stimmschauspielerin kannst du zum ersten Mal auf eine Reise in die Welt des Cyborg Sex begeben. Tauch in sie ein! Fühl, wie sie zum Leben erwacht! Komm mit ihr!“ (Website Cybrothel) Man kann von einer „enhanced doll“ sprechen, wie im Falle von Emma aus China. Wie diese hat Kokeshi 2.0 eine Körpertemperatur, die der von Menschen entspricht. Besonders an ihr ist – neben der erwähnten echten Stimme – die „Taille-Hüfte-Drehung“: Sie reibt ihre Hüften gegen die des Benutzers. Zudem beherrscht das System ein „Oralsaugen“. Über das Etablissement hat Bild TV die Doku „Hey, Puppe“ gedreht, in der neben anderen der Cybrothel-Betreiber Philipp Fussenegger und der Wirtschaftsinformatiker und Technikphilosoph Oliver Bendel zu Wort kommen. Letzterer hat 2020 das Buch „Maschinenliebe“ herausgegeben, mit Beiträgen renommierter Psychologen, Sexualwissenschaftler und Roboterexperten.

Abb.: Kokeshi 2.0 (Foto: Cybrothel)

Das BorDoll hat seine Pforten geschlossen

Das BorDoll in Dortmund hat im Sommer 2023 nach sechs Jahren seine Pforten geschlossen, anscheinend weil kein geeignetes Personal mehr für die Liebespuppen gefunden werden konnte. Es war über die Grenzen von Deutschland hinaus bekannt geworden. Die Inhaberin, Evelyn Schwarz, stand auch der Wissenschaft Rede und Antwort. Ein Interview mit ihr ist in dem Buch „Maschinenliebe“ – herausgegeben von Oliver Bendel – erschienen. Geführt wurde es von Leonie Weber, die damals an der Universität Witten-Herdecke studierte und forschte. Sie hat auch mit einer Sexarbeiterin gesprochen und dadurch einem breiten Publikum wichtige Einblicke in die Sexarbeit geliefert, etwa zum Scheitern des sogenannten nordischen Modells. Evelyn Schwarz machte deutlich, dass viele junge, schüchterne Männer in ihr Etablissement kommen, wo sie sich für Fantasyfiguren interessieren, für Mangamädchen und Elfen. Über die Gründe kann man nur spekulieren, aber wahrscheinlich versuchen Fantasyfans, Gamer und Cosplayer, ihre Erlebnisse in der Fiktionalität und Virtualität in der Realität wiederzufinden. Wie aus dem BorDoll-Forum hervorgeht, wurden die Liebespuppen bereits alle verkauft, vermutlich an Puppenliebhaber, die in den eigenen vier Wänden ihrer Leidenschaft frönen wollen. In Deutschland wird damit das Cybrothel in Berlin zur ersten Adresse. Man darf gespannt sein, wie die Betreiber ihr Projekt, das zwischen Künstlichkeit und Kunst angesiedelt ist, immer wieder neu erfinden werden.

Abb.: Ein KI-generiertes Bild einer Liebespuppe (Bild: Ideogram)

Hey, Puppe!

In einer am 13. August 2022 erschienenen Dokumentation lässt Bild TV den Betreiber, eine Angestellte und einen Kunden des Cybrothel in Berlin sowie den Wirtschaftsinformatiker und Ethiker Oliver Bendel aus Zürich zu Wort kommen. Im Detail wird gezeigt, wie die Arbeit (und das Vergnügen) in diesem neuartigen Etablissement aussieht. Dort sind Liebespuppen – darunter auch Fantasyfiguren – mit einer Stimme zu finden, die von Sprechern und Sprecherinnen stammt, die in einem anderen Raum sitzen. Es gibt zu keinem Zeitpunkt einen direkten menschlichen Kontakt. Der Kunde bucht das Angebot online und erhält einen Zugangscode. Dann kann er sich für einen festgelegten Zeitraum mit der Puppe verlustieren. Die menschlichen Stimmen sollen laut Anbieter zu den Sexpuppen passen. Im Film ist eine Sprecherin zu hören und zu sehen, Adela mit Namen, die ansonsten als Domina arbeitet und die Freundin des Betreibers Philipp Fussenegger ist. Dieser sieht sich nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als Erfinder und Künstler. Tatsächlich gelingt es ihm, verschiedene Entwicklungen und Strömungen zusammenzubringen, und seine Integration einer Audioanlage im Kopf der Puppen beeindruckt ebenso wie seine Invention einer Puppenwaschanlage – und seine jüngst erfolgte Hinzunahme von Virtual Reality. Der Film mit dem Titel „Hey, Puppe“ kann über www.bild.de/tv/mediathek/livestream/startseite-77204148.bild.html aufgerufen werden. Zudem ist ein Teaser verfügbar.

Abb.: Eine der Puppen, die auch im Teaser gezeigt werden (Foto: Bild TV)